Kein Deich - kein Land - kein Leben
Seit jeher kämpften die in den Küstengebieten lebenden Menschen mit der Macht der Fluten. Die Bewohner dieser Gegend wohnten zuerst auf noch heute nachweisbaren Wurten, um sich und ihre Güter vor dem Wasser zu schützen. Diese Wurten sind als Vorläufer der Deiche anzusehen.
Im 11. Jahrhundert entwickelte sich eine stärkere landwirtschaftliche Nutzung des Bodens und man überlegte, zwischen den Wurten einen gemeinsam schützenden Seedeich anzulegen. Dieser Seedeich war noch sehr niedrig und schwach. Sein Verlauf ging von der heutigen Belumer Schanze bis hin nach Döse (hinter Cuxhaven). In den folgenden Jahrhunderten wurde der Seedeich an einigen Stellen verlegt und die bis dahin gemachten Erfahrungen angewandt, indem der Seedeich immer wieder erhöht (bis zu 5 m) und verstärkt wurde.
Durch den Deichbau wurde aber die natürliche Entwässerung der Küstenregion abgeschnitten und die bestehenden Wasserläufe mussten mit verschließbaren Öffnungen durch den Deich hindurchgeführt werden. Zu diesem Zweck wurden Siele konstruiert. Ihre Fluttore schließen sich selbsttätig durch den Wasserüberdruck von außen.
In den Jahrhunderten nach dem Deichbau mussten die Küstenbewohner hohe Belastungen für die ständige Erhaltung und Erhöhung der Deiche tragen - sie waren "deichpflichtig" und mussten damit die Pflege, Nutzung und Unterhaltung von Deichteilstücken (Pfänder) übernehmen. Wenn ein Deichpflichtiger nicht mehr imstande war sein Deichpfand zu unterhalten, dann musste er zum Zeichen dafür seinen Spaten in den Deich stechen. Er gab damit nicht nur die Deichunterhaltung auf, sondern auch sein Eigentum hinter dem Deich. Wer also den Spaten aus dem Deich herauszog, übernahm nicht nur die Pflicht der Deichunterhaltung, sondern auch das Eigentum seines "Vorgängers". Das sogenannte "Spatenrecht" entspricht der bekannten Forderung "De nich will dieken, de mutt wieken" - Wer nicht deichen will, muss weichen.
Vom 12. bis zum 16. Jahrhundert durchbrachen etliche schwere Sturmfluten die Deiche und brachten somit große Verluste mit sich. Allein mit der "Marcellusflut" vom 16. Januar 1362 verloren an der Nordseeküste ca. 100.000 Menschen ihr Leben. Die schweren Sturmfluten der neueren Zeit waren die von 1825, 1855, 1906, 1962 und 1976. Der Deichbau hatte aber in der Zwischenzeit einen solchen Stand erreicht, dass die Verluste sich in Grenzen hielten.
Im Laufe der Jahrhunderte gelang es teilweise auch, verloren gegangenes Land zurückzugewinnen. Die wiedereingedeichten Flächen (Polder, Groden) sind meistens erkennbar am Vorhandensein alter Deichlinien (Schlafdeiche).
Die Orkanflut vom 16./17. Februar 1962 setzte neue Maßstäbe für den Küstenschutz. Allein in Niedersachsen brach der Deich an 61 Stellen, rd. 300 km Deiche waren beschädigt, rd. 370 km2 besiedelten Landes wurden überflutet, Menschen und Vieh ertranken, Häuser wurden zerstört - eine Schreckensbilanz.
Eingehende Untersuchungen führten zu der Erkenntnis, dass die vorhandenen Deiche keinen ausreichenden Schutz mehr boten. Es wurden neue Bemessungswasserstände und Wellenauflaufhöhen, angepasst an neu entwickelte Deichquerschnitte (Profile), festgelegt. Das darauf aufbauende Küstenschutzprogramm umfasste die Erhöhung und Verstärkung von 585 km Deichen, den Bau von 650 km Deichverteidigungswegen, sowie von 24 neuen Sielen und 7 Schöpfwerken.